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Rezension "Der Puppenfänger"

**** von 5

Ein Mann verschwindet.
Sein Bruder stirbt.
Niemand trauert.
Warum?

Es scheint wie ein Routinefall: Eine alte Freundin bittet Privatdetektivin Heide von der Heide wegen einer Vermisstensache ins beschauliche Olte im Emsland. Dort stellt sie verblüfft fest, dass der verschwundene Gerald Schöllen niemandem fehlt. Heide ist ratlos. Als plötzlich die Leiche von Schöllens Halbbruder Gunnar auftaucht, ruft das Dieter Fuchs, Kriminalhauptkommissar und Heides Lebensgefährte, auf den Plan. Gemeinsam stoßen die zwei auf ein schreckliches Geheimnis: Die zwei Brüder haben vor langer Zeit ein ungeheuerliches Verbrechen begangen – das irgendwer jetzt rächen möchte … (Quelle: Klappentext)

Mit diesem Kriminalroman von Joana Brouwer hatte ich zunächst meine Schwierigkeiten. 30-50 Seiten ist in etwa meine persönliche Schmerzgrenze, ab da entscheide ich, ob ich ein Buch weiterlese oder es abbreche – je nachdem, ob es mich bis dahin packen konnte, oder nicht.

Ich muss ehrlich gestehen, dies war bei dem Puppenfänger nicht der Fall. Es ist keinesfalls schlecht, mir fehlte nur der spezielle Aufhänger, der mich ans Buch kettete. Zu Beginn erfuhr ich, wie im Klappentext angekündigt, von der Entführung Gerald Schöllens. Aber, und das war mein Grund, warum mir das Buch erst nicht zusagte: Heide von der Heide und ihr Lebensgefährte Dieter Fuchs lieferten sich ordentlich verbale Zweikämpfe, in denen es in erster Linie darum ging, wer welche Kompetenzen (Detektivin ./. Polizist) besitzt und wer von den beiden seinen Dickkopf durchsetzen kann. Beide Standpunkte waren für mich nachvollziehbar, daher gelang es mir auch nicht, mich gedanklich auf eine der beiden Seiten zu schlagen.

Weitergelesen habe ich dennoch und ich muss euch den dringenden Rat geben, euch nicht vom Anfang abhalten zu lassen, dieses Buch weiter zu lesen. Nach und nach entwickelte die Autorin ein typisches Dorfszenario, in dem praktisch jeder jeden kennt, fast jeder mit jedem über drei Ecken verwandt ist und Geheimnisse eben als solche im Dorf verbleiben.

Heide als Außenstehende hatte einen ganz schlechten Stand und wurde sehr deutlich von den Bewohnern abgewimmelt. Dass Gerald Schöllens verschwand, war allen bekannt, die Gründe dafür vermutlich auch, aber es sprach niemand darüber. Was mich als Leser besonders irritierte, war die emotionale Kälte, die dieses Desinteresse ausstrahlte. Ein Familienvater verschwindet, er ist möglicherweise Opfer eines Verbrechens geworden und niemanden beunruhigt dies, niemand sucht ihn. Da muss man kein eingefleischter Krimileser sein, um seine Antennen aufzustellen und genauer hinzuschauen, was der Grund ist für dieses seltsame Verhalten. Das tat ich dann auch, ich habe mich regelrecht in die Geheimniskrämerei hineingezeckt und wollte unbedingt die Hintergründe aufdecken. Gemeinsam mit Heide und Dieter gelang es mir schließlich auch und, so beschaulich wie dieser Kriminalroman begann, die Geschichte dahinter hat selbst mich überrumpelt. Rückblickend erschien auch das Verhalten der Dorfbewohner vollkommen schlüssig und viele Personen sah ich mit ganz anderen Augen.

Es braucht gar keine Superhelden, die jede brenzliche Situation überleben oder Schauplätze, die so entfernt und unbekannt sind, das man sich als Leser permanent deplatziert fühlt – manchmal wohnt das Grauen genau dort, wo es niemand erwarten würde, zwischen all den stinknormalen, netten Menschen von nebenan.

Insgesamt kann ich Joana Bouwer nur gratulieren. Mich als Krimifan führte sie eiskalt aufs Glatteis, wog mich zunächst mit einem sehr beschaulichen Beginn in komfortabler Sicherheit, um mir dann mit Anlauf die falsche Idylle des Dorflebens um die Ohren zu schlagen. Dieser Kriminalroman braucht zwar etwas mehr Anlauf, aber dann schnappt er zu!

Informationen zum Buch:
384 Seiten | erschienen 2013 bei Ullstein als
Taschenbuch -> ISBN: 978-3548284859 | 9,99€
Ebook -> ASIN: B00ADMQGY4 | 8,99€*
(in allen gängigen Formaten erhältlich)